Montag, 16. August 2010

It´s Jaaazzz-Cheeesssss!


Foto: Festival del film Locarno

„Hershell und Thadeus sind Brüder und Rivalen, wenn es um das Schachspiel und die Frauen geht. Hershell ist der verlorene Sohn und als Spieler ein Purist – Thadeus ein ebenso disziplinierter wie skrupelloser Gegner. Hershell verbrachte vier Wanderjahre in Europa auf der Suche nach dem idealistischen «Jazz-Schach»: Schach um des Schachs willen, wo es einzig um die Züge geht, es keinen Gewinner und Verlierer gibt. Als er nach Hause zurückkehrt, ist Thadeus kanadischer Schach-Champion, finanziell erfolgreich und gibt sich arrogant. Zudem ist er mit Marsha verlobt, Hershells Exfreundin. Frustriert über die fehlenden Perspektiven (Jazz-Schach zieht weder den Erfolg, noch die Investoren an, die Hershell sich erhofft hatte) und weil er Marsha zurückgewinnen will, fordert Hershell seinen Bruder für die kommende Meisterschaft heraus – und wirft den Fehdehandschuh… “
(Offizieller Katalog 63° Festival del film Locarno)

Ein Drama? Ein Brüderzwist? Eine langweilige Schach-Doku? Nur bedingt. Der Katalogtext ist in diesem Fall leicht irreführend. IVORY TOWER ist vor allem eine erfrischende, manchmal etwas trashige, abstruse, charmante, überzogene, aber immer herzliche Komödie. Trotz oder auch gerade wegen der Leichtigkeit, mit der diese eigentlich ernste Geschichte erzählt wird, erscheinen die Figuren in ihrer Überzeichnung nie lächerlich.

Hershell (Chilly Gonzales), dessen Selbstfindungstrip nach Europa auch eine Flucht aus der Rivalität mit dem Bruder Thadeus (Tiga) ist, wirkt in seiner Suche nach einem Spiel ohne Verlierer, in dem die Ästhetik des Schachzuges im Vordergrund steht, stets glaubwürdig. Als Zuschauer_in merkt man, dass es ihm wirklich um etwas geht, dass er sein Ziel nachdrücklich verfolgt und begleitet Hershell gerne und mit einem wohlwollenden Augenzwinkern auf seinem Weg.

Mit verschmitztem Lächeln oder auch lauthals lachend amüsiert man sich zusammen mit den Charakteren über den Fortgang ihrer Geschichte. Die Dialoge bestechen durch Witz und Ironie, die Sprache ist melodisch und trägt mit vielen Alliterationen, Reimen und Wortwitzen zur Komik und Leichtigkeit des Films bei. „Tell them that Thad told ya“ (Thad spricht man mit einem stummen H!), erklärt Schach-Meister Thadeus mit Nachdruck bei jedem Interview und gestikuliert wild in die Kamera des CCC („Canadian Chess Cyberchannel“), dessen Moderator ohne die Stichworte seiner Kamerafrau verloren wäre.Der Rhythmus der Sprache korrespondiert mit dem wunderbaren Soundtrack. Beschwingt poppiger Rock mit elektronischem Einfluss steht in Symbiose zur Handlung, mitreißend komponiert von Chilly Gonzales und Boys Noize.

Aber nicht nur bei der Musik hat Gonzales seine Finger im Spiel, er hat auch zusammen mit Celine Sciamma und Regisseur Adam Traynor das Drehbuch entwickelt. Sein Filmbruder Tiga zeichnet für die herrlichen Dialoge verantwortlich. Diese außergewöhnliche Zusammenarbeit geht in jeder Filmminute auf.
Und zum Schluss bleibt nur zu sagen: Chess, we can!
(ak/ms)

IVORY TOWER, Kanada / Frankreich, 2010, 75 Minuten, Regie: Adam Traynor
Mit: Chilly Gonzales, Tiga und Peaches

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