Mittwoch, 11. August 2010

L’AVOCAT

Foto: Festival del film Locarno

L’AVOCAT, so heißt die neueste Schöpfung des Regisseurs Cédric Anger, die vorgestern auf der Piazza Grande ihre Weltpremiere feierte. Neben Anger fanden sich unter anderem auch die Darsteller Benoît Magimel, Gilbert Melki und Produzent Thomas Klotz ein und gaben vorab einen kurzen Einblick in ihre Arbeit. Während Magimel von Vorbereitungstreffen mit Juristen berichtete, erklärte Melki nur lapidar, er habe sich einige Mafia-Filme angeschaut.

Und damit sind wir auch schon bei der Geschichte: Der junge, ehrgeizige Anwalt Léo vertritt den dubiosen Geschäftsmann Paul Vanoni, wird dessen juristischer Berater und verkehrt plötzlich im Mafia-Milieu. Als die Behörden auf ihn aufmerksam werden und er die Gefahr für seine Familie erkennt, gerät er zwischen die Fronten.

Der Film beginnt mit Léos dunkelstem Moment. Wir blicken in sein blutverschmiertes Gesicht und hören seinen Stimme aus dem Off, die den Wunsch nach dem Vergessen und Verschwinden äußert. Im Rückblick entfalten sich die Ereignisse, die ihn letztendlich schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht haben.
Diese Vorwegnahme versetzt die Zuschauer_innen in eine ständige Erwartungshaltung. Bei jeder Begegnung mit seinem Klienten könnte die Situation umschlagen und eskalieren. Aus dieser Konstellation generiert der Film seine Spannungsmomente. Wiederholt folgt die Kamera Léos Blickwinkel und lässt die Zuschauer_innen die Ängste erfahren, die bei der Hauptfigur nicht deutlich werden. Trotzdem bleibt die Geschichte vorhersehbar, greift bekannte Erzählschemata auf und es entsteht immer wieder der Eindruck, das schon mal irgendwie gesehen zu haben.

Die Charaktere bleiben an der Oberfläche, erscheinen eindimensional und ohne Ecken und Kanten. Die Motivation ihrer Handlungen lässt sich oft nur erahnen. Emotionen werden selten nach Außen getragen. Besonders bei der Hauptfigur Léo stößt dies merkwürdig auf. Seine anfangs proklamierten moralischen Ideale sind schnell verkauft und keinen selbstreflexiven Moment wert. Seine weitere Entwicklung kann nur von Angst bestimmt werden, aber der ausschlaggebende Moment wird nicht deutlich.

Die Stimmung des Films wird durch extradiegetische Musik getragen und bildet dabei zwei Abstufungen. Schwebende Klangteppiche ohne Grundtonerdung, erkennbare Melodie oder identifizierbare Instrumente erzeugen ein Gefühl der Unsicherheit. In expliziten Gefahrensituationen mischt sich dazu ein den Herzschlag imitierender Rhythmus. Nur in einer Szene wird der Spannungsmoment durch in die Handlung integrierte Musik verstärkt. Hier steht der Klang einer Opernarie im starken Kontrast zu einer archaischen Einschüchterungstat.

Der Film könnte den schmalen Grad zwischen Legalität und Illegalität oder die Machenschaften der Mafia auf unangenehme und brutale Weise schildern, zieht es aber vor nette Kino-Unterhaltung zu bieten. Einzig den guten Darsteller_innen und den geschickt aufgebauten Spannungsmomenten ist es zu verdanken, dass die Vorhersehbarkeit der Geschichte nicht zu Langeweile führt. (ak/ms)

L’Avocat (The Counsel) Frankreich 2010, 101 Minuten, Regie: Cédric Anger
Darsteller_innen: Benoît Magimel, Gilbert Melki, A
їssa Maїga, Eric Caravaca, Samir Guesmi, Barbet Schroeder

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