Samstag, 14. August 2010

Mehr gebrochen als gesprochen



SAÇ (dt. Haar), so heißt der neue Film von Tayfun Pirselimoglu, der in Locarno seine Weltpremiere feierte. Der Film läuft im internatonalen Wettbewerb und ist als letzter Teil seiner Trilogie RIZA – PUS – SAÇ zu erfassen.
Fast so interessant wie der Film war vor der Premiere das Auftreten vom Produzenten, Regisseur und den beiden Hauptdarstellern Nazan Kesal und Ayberk Pekan, die das Publikum begrüßt haben.



Eine herrliche Viererkonstellation: ganz links der Produzent und seine gedrehte Zigarette im Mund, mit der er sogar nach dem Film konsequent rumgelaufen ist. Neben ihm die beiden Protagonisten, die kein „Guten Abend“ und „Danke, dass sie gekommen sind“ auf Englisch ausdrücken konnten... und ganz rechts im Bild der Regisseur, der höchstpersönlich die Dolmetscherrolle übernehmen musste.
Den Film insgesamt kann man als ‚minimalistisch’ beschreiben. Die Anzahl der Dialoge in den 120 Minuten ist an einer Hand abzuzählen. Der Regisseur arbeitet mit sehr langen, schlichten Bildern, die die Figuren beim Sitzen, Liegen, Essen oder ab und an mal beim Sprechen zeigen. Auch die naturalistische Spielweise der Schauspieler á la Stanislavski war sehr prägnant. Es gibt keine diegetische Musik, stattdessen dominiert der Straßenlärm von Istanbul im Hintergrund. Wenn man mal kein Hupen und keine vorbeifahrende Autos hört, wird die Aufmerksamkeit schnell auf die Geräuschkulisse im Zuschauerraum gelenkt (so war es bei mir der Fall: Ein permanentes Magenknurren von meiner linken und ein gelangweiltes Schnaufen von meiner rechten Seite).

Zurück auf die Leinwand - Die Handlung lässt sich kurz und knapp zusammenfassen: Der krebskranke Hamdi (Ayberk Pekan), hat einen Perückenladen in einem armen Viertel Istanbuls. Als eines Tages Meryem (Nazan Kesal) in seinen Laden kommt, um ihre langen Haare zu schneiden und sie zu verkaufen, ist Hamdi von ihr angetan. So beginnt die endlose stumme Verfolgung. Er findet raus, wo sie wohnt und dass sie unglücklich verheiratet ist. Schließlich versucht er, Meryems Ehemann Musa umzubringen, was ihm jedoch nicht gelingt und überraschenderweise auf ein absurdes Ende des Films führt.

Die Figur Hamdi stellt einen einsamen Mann in einer Großstadt dar, der sich mental auf seinen Tod vorbereitet, jedoch davor noch ein Mal nach Brasilien reisen möchte. Er lebt von seiner Außenwelt abgeschottet und beobachtet das Leben aus seinem Fenster. Dieses Fenstermotiv bildet gleichzeitig einen Rahmen in der Geschichte. Sowohl am Anfang als auch am Ende beobachtet er eine Prostituierte mit einer blonden Perücke, die auf der anderen Seite der Straße und symbolisch gesehen auf der anderen Seite des Lebens steht. Die Frau bleibt eine Randfigur ohne Text (Verständlich! Wenn der Sprechtext der Protagonisten im Drehbuch auf nur fünf Seiten passt, so der Regisseur im Publikumsgespräch, ist es durchaus plausibel, dass eine solche Figur nur sichtbar bleibt). Dass Hamdis Leben sehr eintönig ist, wird durch die Wiederholung einiger Szenen aus seinem Alltag unterstrichen: Hamdi am Fenster, Hamdi im Bett, Hamdi essend vor dem Fernseher... Nach zwei ‚Kotz-Szenen’ zu Beginn, kann man sagen, dass er mehr auf diese körperliche Art von sich gibt als verbal.

Es war offensichtlich, dass Tayfun Pirselimoglu auf überflüssige Dialoge verzichten und nur das Nötigste darstellen wollte. So hat er es auch im Anschluss im Publikumsgespräch geäußert: „ I tried to catch real moments of life without using words.
I don´t need dialogs to express feelings or situations“ – Ja, das kann man nachvollziehen, aber trotzdem finde ich es zu übertrieben, zwei Stunden lang einen Mann zu filmen der in sechs aufeinander folgenden Szenen Meryem aus dem Fenster, Meryem auf der Arbeit, Meryem im Bus und Meryem vor ihrer Haustüre beobachtet, und schließlich die Chronologie fortsetzt mit Meryem vor dem Fernseher, Meryem auf ihren Ehemann Musa wartend und Meryem schweigend mit Musa am Esstisch.

Insgesamt ist SAÇ ein eher graues Kinoerlebnis, in dem die depressive Stimmung in den Straßen Istanbuls und grimmigen Gesichtsausdrücken der Protagonisten abzulesen ist. Geduldige Kinobesucher können sich nach der Vorstellung auf reale Farben freuen.
S.K.

SAÇ, Turkey/Greece 2010, 120 min. Regie: Tayfun Pirselimoglu

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